DGD Krankenhaus Sachsenhausen operiert jetzt deutlich umweltfreundlicher

Dank Narkosegas-Recycling spart das Krankenhaus jährlich rund 646 Tonnen CO2 ein / hochgradig klimaschädliche Stoffe entweichen nicht mehr in die Atmosphäre

Frankfurt-Sachsenhausen. Sie sorgen dafür, dass Patientinnen und Patienten während der Narkose tief und fest schlafen: moderne Narkosegase wie Desfluran und Sevofluran. Diese werden von Anästhesiologen geschätzt, weil sie wegen der raschen An- und Abflutung kurze Einschlaf- und Aufwachphasen haben und die Narkose sich daher gut steuern lässt. Denn anders als mit Medikamenten, die gespritzt werden, können die Ärztinnen und Ärzte ohne großen Aufwand überwachen, wie tief der künstliche Schlaf des Patienten ist. Dazu messen sie einfach die Konzentration der Narkosegase in der ausgeatmeten Atemluft.

Narkosegase sind extrem klimaschädlich

Doch so sicher die Gase für die Patientinnen und Patienten sind, so schädlich sind sie für die Umwelt: Narkosegase zählen zu den schlimmsten Klimaschädigern weltweit. Laut Bund für Umwelt und Naturschutz wirkt Desfluran beispielsweise 2.540-mal so schädlich wie CO2, Sevofluran hat immerhin noch ein 130-mal so hohes Klimaschädigungspotenzial wie Kohlendioxid. Dänische Forscher berichteten schon vor knapp eineinhalb Jahrzehnten im „British Journal of Anaesthetica“ davon, dass die medizinischen Narkosegase den Klimawandel so stark anheizen würden, wie die Abgase von einer Million Autos. Geschehen ist seither nicht viel.

Dr. Tobias Leipold, Chefarzt der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie sowie Ärztlicher Direktor im DGD Krankenhaus Sachsenhausen, verdeutlicht: „Das Problem liegt darin, dass die Narkosegase nach dem Einatmen von den Patientinnen und Patienten zum größten Teil nicht verstoffwechselt werden. Das heißt: Sie atmen das Gas ein – und den größten Teil auch wieder aus. In der Regel wird die Atemluft inklusive der umweltschädlichen Narkosegase direkt aus dem Operationssaal abgesaugt und in die Atmosphäre abgegeben.“ Die „inhalativen Anästhetika“, wie die Gase im Fachjargon heißen, können laut Experten rund 35 Prozent der Emissionen eines gesamten Krankenhauses ausmachen. Eine achtstündige Narkose entspreche in etwa der Autofahrt von Kapstadt bis ans Nordkap – also rund 15.000 Kilometern. Und damit nicht genug: Die Gase verbleiben auch noch sehr lange in der Umwelt. Das Mittel Desfluran braucht satte 14 Jahre, bis es abgebaut ist, Sevofluran immerhin etwas länger als ein Jahr.

Jährlich rund 5.000 Operationen im DGD Krankenhaus Sachsenhausen

Die Umweltschäden durch die Gase sind also keine Kleinigkeit. Denn jährlich werden 17 Millionen Vollnarkosen bundesweit vorgenommen – meist mithilfe von Narkosegasen. Zum Vergleich: Im DGD Krankenhaus Sachsenhausen finden jährlich rund 5.000 Operationen statt, „bei uns kommen ausschließlich Desfluran und Sevofluran zum Einsatz“, sagt Dr. Tobias Leipold.

Auch im DGD Krankenhaus Sachsenhausen war das Ablassen der Narkosegase in die Umwelt bis vor einigen Wochen der Fall. Doch mittlerweile kommt eine Neuerung zum Einsatz – erstmalig im Rhein-Main-Gebiet: In allen OP-Sälen wird die mit Narkosegasen gesättigte Atemluft nicht einfach ins Freie abgepumpt, sondern gefiltert. „Dabei nimmt der Filter das Narkosegas komplett auf“, erläutert Leipold. Sind die Filter voll – was durch eine Füllstandsanzeige mittels „Ampelsystem“ visualisiert wird – werden diese an den Hersteller des Systems geschickt. „Das Unternehmen kann aus den Filtern über ein Aufbereitungs- und Destillationsverfahren das Narkosegas wieder herauslösen“, so der Chefarzt. Das CO2 der Atemluft wurde schon vorher abgeschieden. Und die inhalativen Anästhetika sind danach nicht verloren, wie der Mediziner verdeutlicht: „Sie können im Anschluss wiederverwendet werden – das ist ein immenser Gewinn für die Umwelt.“

Auf die Idee, die Recycling-Lösung im DGD Krankenhaus Sachsenhausen zu testen und so die Umwelt zu entlasten, kam der Mediziner nicht erst durch Presseberichte über die Schädlichkeit der Gase – sondern auf der hauseigenen Intensivstation: Dort wurde das Narkosegas von sedierten Patienten bereits in einem Filter gespeichert, „denn dort gibt es keine Atemluft-Absaugung“. Schnell war dem Chefarzt klar: „Es wäre extrem sinnvoll, unsere OP-Säle umzurüsten“. Auch vor dem Hintergrund, dass es für das Krankenhaus mit seinen christlichen Wurzeln auch ein Anliegen ist, die Schöpfung zu bewahren.

Umrüstung dauert nur rund 20 Minuten

Und diese Umrüstung war zum Glück „überhaupt nicht schwierig: An die vorhandene Universalschiene der Narkosegeräte wird der Sensor geklemmt und der Filter mit einem Schlauchsystem installiert. Allerdings musste die Atemgasleitung vom Gerät von einem passiven auf ein aktives System gewechselt werden – das war etwas aufwändiger, ist aber vom verwendeten Narkosegerät abhängig“. Letztlich „handelt es sich beim kompletten Umbau aber nur um einen 20-Minuten-Eingriff am Gerät“. Die Kosten für die Umrüstung der fünf OP-Säle und eines Kreißsaals – in dem es bereits ein aktives System gab – hielt sich mit rund 20.000 Euro in Grenzen. Das Gute für die Ärzte: „An der Handhabung der Geräte hat sich nichts geändert, alles funktioniert wie vorher.“ Und wenn der Filter voll ist, „ist er binnen weniger Sekunden gewechselt“, sagt der Ärztliche Direktor.

Häufig wird Anästhesisten vorgeworfen, aus Gründen der Bequemlichkeit auf gasförmige Anästhetika zu setzen. Warum wird das Narkosemittel nicht einfach gespritzt? „Das tun wir auch noch“, sagt Dr. Leipold lachend. So werde die Anästhesie im DGD Krankenhaus Sachsenhausen in der Regel mittels Spritze eingeleitet. Grundsätzlich könne fast jede Narkose als total intravenöse Anästhesie (TIVA) oder als Inhalationsanästhesie – in Verbindung mit Opioiden als balancierte Anästhesie – vorgenommen werden. „Vor- und Nachteile dieser unterschiedlichen Anästhesietechniken evaluieren wir immer kontextbezogen“, verdeutlicht der Mediziner. Vorteile einer TIVA sind zum Beispiel eine kürzere so genannte „Exzitationsphase“ der Anästhesie, eine effizientere Reflexdämpfung und ein selteneres Auftreten von Übelkeit und Erbrechen nach der Operation. „Für den Einsatz von Inhalationsanästhetika sprechen dagegen eine direkte Messbarkeit des aufgenommenen Narkosemittels über die Ausatemluft, die Potenzierung von Muskelrelaxantien sowie eine weitgehend organunabhängige Pharmakokinetik – also die die Gesamtheit aller Prozesse, denen ein Arzneistoff im Körper unterliegt, von der Aufnahme über die Verteilung und Metabolisierung bis hin zur Ausscheidung. Für jede Operation und für jeden Patienten evaluieren wir das beste Narkoseverfahren“, sagt Leipold.

Gerade in der Adipositas-Chirurgie – das DGD Krankenhaus Sachsenhausen ist mit rund 1.000 Operationen auf diesem Gebiet das größte Adipositas-Zentrum deutschlandweit – „haben wir uns dafür entschieden, beim Narkosegas zu bleiben. Aus Sicherheitsgründen und weil es für uns medizinisch die bessere Wahl ist“. Denn aufgrund des ausgeprägten Fettgewebes der Patienten ist das Verhältnis der Köpercompartmente verändert. „Für die Narkose muss das Medikament im Gehirn des Patienten ankommen, um eine Wirkung zu entfalten. Leider ist dieses auch ,fettig‘ und steht somit im Konkurrenzkampf mit dem restlichen Fettgewebe“, so Leipold. Die Vorhersagekraft zur Wirkung des gespritzten Medikaments sinke also. „Hinzu kommt, dass Die Patienten meist auch noch über diverse weitere Erkrankungen – so genannte Co-Morbiditäten – verfügen und die intravenösen Anästhetika zu einer ausgeprägter Kreislauf-Instabilität führen können“, sagt der Mediziner.

Er verdeutlicht: „Wir wollen für unsere Patientinnen und Patienten natürlich Komplikationen vermeiden. Narkosegase sind deutlich kreislauf-stabiler als die gespritzten Mittel“. Hinzu kommt, dass die Vorhersagekraft zur tatsächlichen Narkosetiefe bei der bilanzierten Narkose deutlich größer ist als bei der TIVA, „so dass wir bei einer TIVA immer auch eine durchgehende EEG Überwachung des Patienten vornehmen“.

Wenn man den medizinischen Hintergrund mal ausblendet. „Doch stehen die intravenös verabreichten Mittel auch in der Diskussion. Zum einen weil sie stark wasserschädlich sind, zum anderen verursachen sie deutlich mehr Verpackungsmüll “, gibt der Arzt zu bedenken. Deshalb verzichtet man in Sachsenhausen also nicht auf die Gase ­– doch nun werden sie recycelt.

Krankenhaus spart durch das Recycling gut 646 Tonnen CO2 ein

Der Gewinn für die Umwelt ist immens: „Wir sparen so gut 646 Tonnen CO2-Äquivalent im Jahr ein“, erläutert der Chefarzt. Und auch wirtschaftlich profitiert das Krankenhaus von der Umrüstung. Denn es bezieht seine Narkosegase vom selben Hersteller wie die Filter, „wir haben also einen geschlossenen Kreislauf – und das zu einem günstigeren Preis“.

Doch im Krankenhaus wird durch den Einsatz des Filtersystems nicht nur durch das Zurückhalten der klimaschädlichen Narkosegase die Emission schädlicher Treibhausgase verringert. „Wir sparen auch Energie dadurch ein, dass die Atemgasabsaugung für die Operationssäle nun abgeschaltet ist“, verdeutlicht der Mediziner. Diese sei durch einen Hochdruck-Kompressor mit immensem Stromverbrauch realisiert worden. Das Abschalten verringert aber nicht nur den CO2-Fußabdruck des Krankenhauses – sondern senkt auch die Stromrechnung um rund 10.000 Euro im Jahr. „Außerdem fallen die Wartungs- und Reparaturkosten der Absaugung weg.“ Alles in allem also eine „absolut runde Sache – und ein riesiger Gewinn für die Umwelt“, so der Mediziner.

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